Tierwohlrelevante Handlungsalternativen

| Tierschutz-Hundeverordnung

Prof. Dr. Peter Friedrich, Präsident des Verbandes für das Deutsche Hundewesen (VDH), befasst sich in diesem Kurzbericht mit den Bereichen Zucht, Wissenschaft und Auslandbeziehungen.


In den Ressorts „Zucht“, „Wissenschaft“ und „Auslandsbeziehungen“ hat sich in der Amtsperiode des Präsidenten des VDH vom August des Jahres 2021 bis zum August des Jahres 2024 sehr viel getan. Meistens aus eigenem Antrieb und mehr als einmal auch durch zumeist wohlbegründete, aber zuweilen auch fragwürdige Interventionen von außen, sind durchdachte Möglichkeiten der Optimierung des Hundewesens voll im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geblieben. Angesichts einer wahren Flut an mehrheitlich berechtigten und andererseits auch nicht wirklich selten unberechtigten staatlichen Restriktionen war es für den Vorstand unerlässlich, innerhalb seiner ehrenamtlichen Tätigkeit in diesem Arbeitsfeld Schwerpunkte zu bilden. Im nachfolgenden Kurzbericht werden die Bereiche Zucht, Wissenschaft und Auslandbeziehungen wegen ihrer wechselseitigen Verflechtung zusammen abgehandelt.

Jeder, der sich für die Gesundheit, für Fitness und für eine hohe Lebenserwartung von Hunden wirkungsvoll einsetzt und zudem angemessene Lebensbedingungen für Vierbeiner mit Umsicht anstrebt, tut das Richtige. Und jeder, der auf diese Art das Richtige tut, kann ein gutes Ergebnis nur dann erzielen, wenn er mit Gleichgesinnten kooperiert, eskalierende Sozialkonflikte vermeidet und zugleich nicht aus dem Auge verliert, dass jede auch noch so gut gemeinte Maßnahme auf ihre Nebenwirkungen hin überprüft werden muss, um dubiosen Vermehrern und geldgierigen Händlern nicht ungewollt optimale Bedingungen für ihr verwerfliches Handeln zu schaffen. Nicht nur mit dieser Feststellung erklärt sich die Formulierung der Überschrift. Immer wieder sind die Verantwortlichen innerhalb des VDH hin- und hergerissen zwischen unterschiedlichen Handlungsoptionen. Das gilt umso mehr, je vorausschauender sie agieren und je intensiver sie sich mit dem Risiko des Auftretens unliebsamer Nebenwirkungen zunächst vielversprechend erscheinender Handlungsmuster auseinandersetzen. Überdies werden die Mandatsträger des Öfteren von ein und derselben Institution oder Person mit Forderungen konfrontiert, von denen ein Teil sinnvoll ist und ein anderer Teil nicht verantwortbar, obwohl etwas anderes behauptet wird. Einige Beispiele: Hier wird artgerechte Beschäftigung gefordert, dort werden Hunde von Sportveranstaltungen ausgeschlossen, die sie nicht überfordern würden, sondern ihr Leben bereicherten. An einem Ort wird gefordert, den Hunden Stress zu ersparen, an einem anderen sollen sie unangenehmen Untersuchungen zugeführt werden, die sich auf Krankheiten beziehen, die in der Population, der sie angehören, gar nicht vorkommen. Selbst Naturwissenschaftler unterschiedlicher Schulen bringen häufig einander diametral widersprechende Empfehlungen und Warnungen in die Diskussion ein. Mehr als einmal haben Hundezüchter staunend zuschauen müssen, wenn die Befürworter von Kreuzungsprogrammen und die Vorreiter der genomischen Selektion ihre Konzepte als unvereinbar und jeweils alleine heilsbringend gesehen haben und sehr rüde miteinander umgegangen sind. Um es vorweg zu nehmen, beide Ansätze verdienen es, von uns nicht abgelehnt, sondern gründlich durchdacht zu werden. Und es ist eine unserer Pflichten, zu eruieren, wo ihre Einsatzmöglichkeiten in unseren Reihen liegen. Wenn wir das Empfinden haben, gedanklich im Zwiespalt zu sein und sogar von mächtigen Institutionen und Personen hin- und hergerissen zu werden, heißt das mit anderen Worten, dass wir in komplizierten, stressreichen Lagen Entscheidungen treffen wollen und müssen, die zu einer positiven Entwicklung der Hundezucht führen. Dieser Ansatz leitet über zu der Frage, wofür sich der VDH in Zusammenarbeit mit externen Experten in seiner letzten Amtsperiode eingesetzt hat und welche Themen auch in Zukunft weiterverfolgt werden müssen. Die Form, in der im vorliegenden Schriftstück darüber berichtet wird, ist eine abschnittsweise inhaltlich orientierte Positionsbestimmung, die klar darlegt, was aus der Sicht des VDH gut und richtig und was schlecht und falsch ist. Gesetze und Verordnungen finden dabei Berücksichtigung, werden aber, anders als in früheren Artikeln, nicht explizit zitiert.

 

 

 

  1. Das durchdachte und kontrollierte Züchten von Rassehunden liefert einen wertvollen Beitrag für das gesellschaftliche Leben. Welpen, deren Fortentwicklung relativ gut vorhersagbar ist und die spezifischen Erwartungen entsprechen, kommt ein besonderer Stellenwert zu. Hundehalter können sich so unterschiedlichen Formen des Hundesports widmen, ihr Familienleben in einer Art bereichern, wie sie es besonders mögen oder viele andere erwünschte Lebenssituationen genießen.
     
  2. Recht viele Menschen, unter ihnen auch eine hohe Anzahl von kinderreichen, leiden an Erbkrankheiten. Neben Formen von Bluthochdruck, Brustkrebs, Asthma, Allergien und so weiter, die nicht erblich beeinflusst sind, gibt es auch solche Formen mit hoher Prävalenz, bei denen eine genetische Prädispositionen eine zentrale Rolle spielt. Insofern bietet der Mensch nicht unbedingt eine große Orientierungshilfe für die Hundezucht, da wir ja bei unseren Schützlingen selbstverständlich stetig darum bemüht sind, Veranlagungen zu Störungen mit modernen Methoden zurückzudrängen. Was uns die Betrachtung des Menschen und die von Wildtieren aber lehrt, ist die Tatsache, dass es keine Wirbeltierpopulation gibt, die frei von kritischen Genen ist. Benutzt man populäre sprachliche Gepflogenheiten, so ist festzuhalten, dass wir alle Träger zahlreicher Defektgene sind. Ganz abschaffbar sind kritische Gene und Erbkrankheiten beim Hund bedauerlicherweise so wenig wie bei Bengal-Tigern, Giraffen, Erdmännchen und Menschen. Ein gewisses unvermeidliches Maß an Krankheitsbelastung gehört zur unbequemen Normalität des irdischen Lebens. Ein neuer Reinheitsmythos, nämlich einer, der die Freiheit von potenziell pathogenen Allelen als Ziel postuliert, gehört ins Reich der Phantasie und hat einen seltsamen Beigeschmack.
     
  3. Hundezucht und Hundesport gehören zusammen und stehen in einer äußerst positiven Wechselbeziehung.
     
  4. Eine Verpflichtung zu klinischen oder genetischen Untersuchungen im Rahmen der Überprüfung der Eignung eines Hundes zur Zucht ist dann gerechtfertigt, wenn in der entsprechenden Population (a) eine Krankheit oder ein verwandtes Gesundheitsproblem auftritt, diese (b) unter dem Einfluss einer genetischen Prädisposition zustande kommt und dieselbe (c) zu Leiden (einschließlich von Schmerzen und der Auswirkung von Schäden) führt und die Störung nicht als Seltenheit bezeichnet werden kann oder nur in sehr hohem Lebensalter auftritt. Zuchtverbote für Rüden und Hündinnen zur Vermeidung von Leiden bei der Nachzucht sind weiterhin unumgänglich.
     
  5. Die Verwendung stark auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe - wie etwa „Schäden“ - ist möglichst zu vermeiden, da sie als Freibrief für Willkür missverstanden werden kann.
     
  6. Jede tiermedizinische Untersuchung bedarf einer Indikation. Ein Erzwingen von Untersuchungen, die Syndrome zum Gegenstand haben, die bei einer Rasse nicht oder kaum vorkommen, ist eine vermeidbare Tierquälerei. Dieser Stress ist den Hunden nicht zuzumuten.
     
  7. Bei monogen bedingten Störungen mit einem autosomal-rezessivem Erbgang ist der Einsatz von Trägern angemessen, wenn dieses Vorgehen ein Teil eines schlüssigen Zuchtprogrammes ist, welches Welpen garantiert, die homozygot unbelastet oder heterozygot sind und das kritische Gen Schritt für Schritt aus der Population gedrängt wird. Eine solche Strategie begrenzt den Verlust an genetischer Diversität und vermeidet negative Effekte einseitiger Selektion. Ähnliche Verfahrensweisen können auch bei manchen anderen Erbgängen hilfreich sein.
     
  8. Bei Zuchtprogrammen ist es oft zielführend, sie bei relativ niedrigem Selektionsdruck über lange Zeitspannen laufen zu lassen, um den Verlust an genetischer Diversität zu begrenzen und negative Effekte einseitiger Selektion zu vermeiden. Auf kurze Zeitspannen befristete Zuchtprogramme bergen schwerwiegende Risiken für das Tierwohl in sich.
     
  9. Bewegung und Atmung sind von größter Bedeutung in der Zucht. Tests, die die körperliche Fitness überprüfen, kommt eine Schlüsselfunktion zu. Das gilt nicht nur für brachycephale Hunde. Ausdauerprüfungen haben sich nicht nur für Gebrauchshunde bewährt. Ergänzungen durch andere Verfahren können vonnöten sein.
     
  10. Neben der Bekämpfung von Störungen ist die Wahrung und Steigerung der genetischen Diversität von herausragender Bedeutung für das langfristige Fortbestehen unserer Hundepopulationen. Es ist an uns, eine Vielfalt von Maßnahmen diesbezüglich zu ergreifen.
     
  11. Gesunde und fitte Hunde in fortgeschrittenem Lebensalter verdienen die besondere Aufmerksamkeit aller Zuchtverantwortlichen. Gefriersperma kann in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen.
     
  12. Inwiefern genomische Selektion in die Hundezucht der Gegenwart zukunftsträchtig einbezogen werden kann, gilt es auch in Zukunft vorurteilsfrei im Auge zu behalten.
     
  13. Kreuzungszuchten sind kein Tabu und bedürfen einer sorgfältigen Planung und Regelung.
     
  14. Übertypisierung ist in der Zucht unbedingt zu vermeiden, was in der Praxis auf erhebliche Widerstände stößt. Würden wir in diesem Bereich scheitern, so wäre das ein schwerer Rückschlag für die organisierte Hundezucht.
     
  15. Rassestandards haben nie endgültigen Charakter. Sie bedürfen der sorgfältigen Beobachtung und Anpassung. Bei mehreren deutschen Rassen sind in letzter Zeit Überarbeitungen vorgenommen worden, um extremen Interpretationen entgegenzuwirken. In den konkreten Fällen ging es zum Beispiel um zu kurze Fänge, zu große Tiere und zu schwere und faltige Phänotypen.
     
  16. Verbote, Hunde mit kritischen Phänotypmerkmalen oder problematischen genetischen Prädispositionen auf Zuchtzulassungsprüfungen vorzuführen, verschlechtern die Lage, weil es so schwieriger wird, aussagekräftige Information über die betreffenden Populationen zu gewinnen. Es schafft einen besseren Wissenstand und bessere Reaktionsmöglichkeiten, wenn dieselben vorgeführt werden dürfen und bei diesen Veranstaltungen mit einem Zuchtverbot oder Zuchtauflagen belegt werden. Ein statistischer Überblick wird so vollständiger und aussagekräftiger.
     
  17. Tierzüchterische und politische Entscheidungen müssen evidenzbasiert sein, wobei wissenschaftliche Qualitätskriterien wie die Angemessenheit der betreffenden Stichproben und die Passung der statistischen Auswertungsverfahren verwirklicht sein müssen.
     
  18. DNA-analytische Verfahren befinden sich in einem zügigen Wandel. Sowohl bei der Identitätsfeststellung als auch beim Elternschaftsnachweis und der DNA-analytischen Inzuchtbestimmung entwickeln sich neue Möglichkeiten, die nutzbar für uns werden, sobald sie mit einer zufriedenstellenden Standardisierung, Erschwinglichkeit und  Bearbeitungszeit angeboten werden.
     
  19. Für Zuchtprogramme, die hohen Qualitätsansprüchen genügen, sollte es eine Zertifizierung geben, an der auch externe Experten beteiligt sein sollten.
     
  20. Für alle Hunde, die in Deutschland nicht gezüchtet werden dürfen, muss es auch ein Importverbot und entsprechende Kontrollen geben. Es würde eine besonders intensive und besonders häufige Form der Tierquälerei verursacht, wenn inländische Zuchtprogramme, die gute Seiten und auch Schwachstellen haben, beendet würden und stattdessen noch öfter als jetzt schon Hunde aus übelsten illegalen Vermehrungsstationen mit weit schlimmeren Phänotypmerkmalen eingeführt und auf irgendeinem Weg in Deutschland veräußert würden. Eine Vielzahl der Tiere aus besagten illegalen Vermehrungsstationen würden nicht einmal so lange leben bis sich ein Käufer für sie fände, sondern hätten schon vorher einen qualvollen Tod zu erleiden. Und all das würde unwissenden Personen dann als Tierschutz verkauft.
     
  21. Staatliche Reglementierungen der Zucht müssen für alle empfindungsfähigen Tiere gleichermaßen gelten und nicht nur für Hunde. Das gilt auch für Kontrollmaßnahmen, die für verschiedene Tierarten in gleichem Umfang vorzusehen sind.
     
  22. Je stärker die Urteile von Zucht- und Leistungsrichtern kongruent zu den Wertmaßstäben einer qualitätsgesicherten Zucht ausfallen, umso überzeugender sind sie. Das ist noch nicht immer vollständig erreicht.
     
  23. Werden Ausstellungsverbote seitens der Staatsgewalt als Instrument zur Beeinflussung der Hundezucht eingesetzt, so macht das ausschließlich dann Sinn, wenn sie sich auf gut wahrnehmbare Merkmale beziehen und somit im Hinblick auf potenzielle Hundekäufer Werbung für problematische Erscheinungsformen vermieden wird.
     
  24. Ausstellungen und Hundesportveranstaltungen sind gleich zu behandeln. Verhaltenstests einschließlich von Begleithundprüfungen müssen wegen ihrer gesellschaftsdienlichen Wirkung von Teilnahmeverboten ausgenommen bleiben.
     
  25. Eine Gleichbehandlung von Teilnehmern an Veranstaltungen, die in verschiedenen Regionen leben, ist höchst wünschenswert.
     
  26. Hunde, die nicht ausgestellt werden dürfen, dürfen auch nicht in der Werbung, in Spielfilmen, in Fernsehshows, auf Imagefotos von Politikern und bei ähnlichen Gelegenheiten gezeigt werden.
     
  27. Besucherhunde dürfen zu VDH-Veranstaltungen unabhängig von ihrer äußeren Erscheinung mitgebracht werden, wenn sie nicht Teilnehmer derselben sind. Das klingt selbstverständlich, musste aber mit großem Aufwand unsererseits gegen heftigen Widerstand durchgesetzt werden.
     
  28. Der Lebensweg aller in Deutschland lebenden Hunde sollte von der Geburt bis zum Ableben möglichst nachvollziehbar sein, was auch für Importe angestrebt werden sollte und ein Versehen mit Transpondern einschließt.
     
  29. Im Vorstand des VDH sollte ein Ressort Zucht und ein Ressort Tierwohl existieren, die von zwei verschiedenen Personen vertreten werden, die thematisch interessiert und engagiert sind.
     
  30. Was Fitnesstests und Gentests angeht, so sollte deren Einsatz international koordiniert geschehen. Kocht jedes Land sein eigenes Süppchen, so wie es jetzt immer mehr geschieht, so schwächt das die Verhandlungsposition der weltweit organisierten Hundezüchter im politischen Diskurs.
     
  31. Wir setzen uns auf internationaler Ebene für ein generelles Kupierverbot und ein Verbot der Verwendung von Elektroreizgeräten ein. Es gibt immer noch zahlreiche Länder, in denen legal kupiert wird und legal Elektroreizgeräte eingesetzt werden.
     
  32. Sowohl der VDH als auch die Fédération Cynologique Internationale (FCI) haben ihre Regularien bezüglich der Bestimmungen zur Zuchtbuchführung geändert, um im Rechtsstreit mit dreizehn der FCI nicht angeschlossenen Vereinen den kartellrechtlichen Vorgaben zu entsprechen.
     

Wir setzen uns für die Erhaltung der kontrollierten Hundezucht und des gesundheitsfördernden Hundesports ein. Zu diesem Engagement gehört genauso die Überzeugung, an künftige Generationen etwas Wertvolles weiterzugeben wie die Fähigkeit zur konstruktiven Selbstkritik. Die Weiterentwicklung des naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Wissensschatzes ermöglicht nicht nur eine Verbesserung der Hundezucht und der sportlichen Betätigung mit dem Hund, nein, sie verpflichtet uns gerade dazu, auch von diesen neuen Möglichkeiten Gebrauch zu machen zum Wohl unserer vierbeinigen Freunde. Untätigkeit ist keine Option.

 

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