Stellungnahme des VDH zu den Leitlinien der AG Tierschutz

| Tierschutz-Hundeverordnung

Im Oktober wurden von der AG Tierschutz der Bundesländer die „Leitlinien zur Auslegung und zum Vollzug des Ausstellungverbots von § 10 der Tierschutz-Hundeverordnung (TierSchHuV) vom 2. Mai 2001. Der VDH hat diese einer ersten fachlichen und rechtlichen Prüfung unterzogen und sieht großen Verbesserungsbedarf.

 

Im Oktober wurden von der AG Tierschutz der Bundesländer die „Leitlinien zur Auslegung und zum Vollzug des Ausstellungverbots von § 10 der Tierschutz-Hundeverordnung (TierSchHuV) vom 2. Mai 2001. Diese Leitlinien definieren 50 genetische und morphologische Merkmale als Qualzuchtmerkmal und fordern tierärztliche Voruntersuchungen für 221 Hunderassen, sowie für Kreuzungen aus diesen Rassen und Mischlinge.

Der VDH hat diese einer ersten fachlichen und rechtlichen Prüfung unterzogen und sieht großen Verbesserungsbedarf. Die zuständigen Stellen der AG Tierschutz sowie die Ministerien der Länder haben eine Stellungnahme des VDH erhalten:

 

Leitlinien zur Auslegung und zum Vollzug des Ausstellungverbots von § 10 der Tierschutz-Hundeverordnung (TierSchHuV)

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich nehme Bezug auf die uns am 09.10.2024 übersandte (zweite) Fassung der sogenannten „Leitlinien zur Auslegung und zum Vollzug des Ausstellungverbots von § 10 der Tierschutz-Hundeverordnung (TierSchHuV) vom 2. Mai 2001“ (Leitlinien). Diese Leitlinien definieren 50 genetische und morphologische Merkmale als Qualzuchtmerkmal und fordern tierärztliche Voruntersuchungen für 221 Hunderassen, sowie für Kreuzungen aus diesen Rassen und Mischlinge.

Es ist sicherlich sinnvoll, einheitliche Leitlinien für die Auslegung von § 10 TierSchHuV zu erarbeiten, um den sehr unterschiedlichen und teilweise überzogenen und willkürlichen Auslegungen der Vorschrift in der Vergangenheit entgegenzuwirken. Die von Ihnen auf Seite 8 Ihrer Leitlinie genannte Vorschrift § 16 II TierSchG ist jedoch keine taugliche Rechtsgrundlage für die behördliche Anforderung von Gesundheitsbescheinigungen von Hunden, die an Veranstaltungen im Sinne des § 10 TierSchHuV teilnehmen. Näheres hierzu ist dem als Anlage 1 beigefügtem Schreiben der Rechtsanwaltskanzlei Hoffmann Liebs zu entnehmen, worauf wir Bezug nehmen. Entsprechende Ordnungsverfügungen wären rechtswidrig.

Im Nachfolgenden haben wir konkrete Beispiele zusammengestellt, die zeigen, dass die Leitlinien zudem auf der einen Seite nicht dem aktuellen Stand der tiermedizinischen Wissenschaft entsprechen, dabei aber auf der anderen Seite weitreichende Verbote bedeuten, die teilweise komplette Hunderassen betreffen.

Rasseverbote anhand morphologischer und genetischer Merkmale

Die Festlegung der Merkmale Chondrodysplasie (Retrogeninsertion auf CFA 18) und Chondrodystrophie (Retrogeninsertion auf CFA 12) bedeuten nichts anderes als ein Verbot für zahlreiche beliebte Hunderassen. So hat beispielweise jeder Dackel mindestens eines der genannten genetischen Merkmale, die meisten Dackel tragen beide. Beschränkt man sich allein auf die Retrogeninsertion auf CFA 12, betrifft das Verbot nach der von Ihrer Arbeitsgruppe selbst zitierten Publikation auch den Corgi (98 %), den Beagle (92 %) und den Cocker Spaniel (96 %). Auch zahlreiche weitere Hunderassen und auch viele Mischlinge sind in hohem Umfang betroffen (die in der von Ihnen zitierten Publikation 56 % der untersuchten Mischlinge). Es stellt sich die Frage, ob derart weitreichende Verbote sinnvoll oder zielführend sind.

In diesem Zusammenhang möchten wir noch auf folgenden Fehler bei diesem Punkt der Merkmalsaufzählung hinweisen: Der Zwergpinscher (Sie verwenden vermutlich in Anlehnung an die englischsprachige Publikation, aus der zitiert wird, die Bezeichnung „Miniatur Pinscher“) trägt die relevante Mutation nach Angaben in der von Ihnen zitierten Publikation nicht – ebenso wie die in der ersten Fassung noch aufgeführten und inzwischen entfernten Rassen Dobermann und Rottweiler. Insofern stellt sich unabhängig von der Festlegung der genannten Mutationen als Qualzuchtmerkmale die Frage, wieso diese Rasse als Voraussetzung für eine Veranstaltungsteilnahme auf die Mutation untersucht werden soll.

Untersuchung von Hunderassen auf Merkmale, die bei diesen nicht vorkommen

Zahlreiche der weiteren Merkmale, auf die Untersuchungen angeordnet werden, kommen nach Angaben der wissenschaftlichen Literatur und nach aktuellen Auskünften der großen Fachlabore Laboklin und Wisdom Panel bei Rassen, für die diese Untersuchungen vorgesehen werden, nicht oder nicht in relevantem Umfang vor. Dies betrifft z. B. die Merkmale der Caninen Ceroid Lipofuszinose, des Hereditären Katarakt oder der Collie-Eye-Anomaly, bei denen für zahlreiche der genannten Rassen im Untersuchungsgut der Labore kein einziger Fall eines betroffenen Tieres dokumentiert ist und die Allelfrequenz der relevanten Mutationen häufig im Bereich der Bruchteile eines Prozentes oder vollständig bei null liegt. Diese Mutationen sollen hier nur als Beispiel genannt werden.

Dies steht im Widerspruch zu den Ausführungen des für die TierSchHuV zuständigen Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, das bereits im Mai 2023 in einem Schreiben klarstellte, dass aus dortiger Sicht „die Häufigkeit des Auftretens von Qualzuchtmerkmalen in der jeweiligen Rasse zu berücksichtigen“ ist (Anlage 2).

Ebenso werden Herzultraschalluntersuchungen zum Ausschluss einer Dilatativen Kardiomyopathie bei Hunderassen gefordert, für die diese Untersuchungen nach Auskunft des ‚Collegium Cardiologicum e. V. - Collegium Cardiologicum e.V. - Gesellschaft zur Qualitätssicherung kardiologischer Zuchttauglichkeitsuntersuchungen in der Tiermedizin‘ „nicht notwendig oder sinnvoll“ sind (Anlage 3).

Gerade im Bereich Augenerkrankungen werden Gentests für Rassen gefordert, bei denen die Erkrankungen kaum oder gar nicht auftreten oder keine validierten Gentests für die jeweiligen Rassen vorhanden sind. Hierzu schreiben die Augenspezialisten des ‚Dortmunder Kreis - Gesellschaft für Diagnostik genetisch bedingter Augenerkrankungen bei Tieren e. V.‘ in einer Stellungnahme (Anlage 4): „Der Katalog der Rassen in den Leitlinien ist fachlich oftmals nicht haltbar und müsste überarbeitet werden. Bei einigen Rassen kommen nach gezieltem züchterischen Vorgehen die Mutation de facto nicht mehr vor und gelten erfreulicherweise dann als ausgemerzt.“.

Die Festlegung des Merkmals Brachycephalie (Kurzschnäuzigkeit), in der Form, dass alle Hunde ausgeschlossen werden, deren Verhältnis der Schnauzen- zur Schädellänge (Craniofacial-Ratio, CFR) weniger als 1/3 beträgt, bedeutet nicht nur ein mehr oder weniger vollständiges Verbot für die Rassen Französische Bulldogge, Boston Terrier und Mops, sondern belegt auch zahlreiche Vertreter von Hunderassen, die aufgrund einer moderaten Kurzschnäuzigkeit nicht den Auswirkungen des brachycephalen obstruktiven Atemnotsyndrom betroffen sind, mit einem Verbot.

Als Beispiel sei hier der Boxer genannt: Hunde dieser Rasse müssen in dem VDH an-geschlossenen Zuchtvereinen vor einem Zuchteinsatz eine Ausdauerprüfung absolvieren, bei der Sie 20 km am Fahrrad bei einer Geschwindigkeit von 12-15 km/h laufen müssen. Diese Hunde leiden also offensichtlich nicht an Einschränkungen der Atmung. Dies wird auch von aktuellen Untersuchungen der Cambridge-Arbeitsgruppe unterstützt.

Auch für Hunderassen mit stark ausgeprägter Kurzschnäuzigkeit zeigt das Merkmal der CFR in verschiedenen wissenschaftlichen Publikationen rasseabhängig nur eine eingeschränkte oder gar keine Aussagekraft. Vor diesem Hintergrund scheint die Durchführung tierärztlicher Untersuchungen in Verbindung mit geeigneten, wissenschaftlich validierten Belastungstests uns auch weiterhin als die geeignetere Grundlage zur Entscheidung über eine Veranstaltungsteilnahme für kurzschnäuzige Hunde als die Anwendung der CFR.

Insbesondere Hundesport betroffen

Die Regelungen betreffen dabei neben Ausstellungen in eigentlichem Sinne auch den Bereich des Hobby-Hundesports besonders hart. Starts in Hundesportturnieren in den VDH-Mitgliedsvereinen überwiegen die Teilnehmerzahl bei Ausstellungen inzwischen um das Vierfache und haben keine Auswirkungen auf Zuchtentscheidungen, sondern sind schlicht eine Freizeitgestaltung für Hunde und ihre Halter. Umfangreiche und kostenintensive Auflagen, die diverse tierärztliche Untersuchungen und Gentests beinhalten, bedeuten in der Regel, dass diese Veranstaltungen nicht mehr durchführbar sind.

Des Weiteren kann die Tabelle in Ihrer aktuellen Form, in der die genannten Merkmale pauschal als Qualzuchtmerkmal festgelegt werden, auch leicht als Grundlage für Zuchtverbote herangezogen werden. Dies würde entsprechend das Ende der Zucht zahlreicher beliebter Hunderassen in Deutschland bedeuten.

Doch nicht nur Rassehunde werden in den Leitlinien mit einer Vielzahl von Untersuchungen belegt (als Beispiel sei hier der Labrador Retriever als beliebteste Hunderasse Deutschlands genannt, der im Kontext mit zehn Qualzuchtmerkmalen aufgeführt wird), die auch unabhängig vom tatsächlichen Vorliegen der Merkmale eine große Hürde für Hundeveranstaltungen wären.

Umgang mit Mischlingen und Hybridrassen

Mischlinge und Kreuzungen aus verschiedenen Rassen werden potentiell sogar mit noch mehr Untersuchungen belastet. So sieht Leitlinien vor, dass „bei Mischlingen die beteiligten Einzelrassen überprüft werden“ sollen. Bedeutet dies, dass hier also zunächst die genetische Rassezusammensetzung ermittelt werden muss, und dann die empfohlenen Prüfungen der beteiligten Einzelrassen notwendig sind? Dies würde dazu führen, dass Mischlinge sogar noch mehr Untersuchungen vor Veranstaltungsteilnahme erdulden müssen, als Rassehunde. Dies würde sehr viele Mischlinge betreffen, die an Sportturnieren teilnehmen.

Wir hoffen, dass wir im Rahmen dieses Schreibens auf einige fachliche Fehler sowie die potenziell enormen Auswirkungen der Leitlinien auf Ausstellungswesen, Hundesport und kontrollierte Hundezucht in Deutschland hinweisen konnten.

Vor diesem Hintergrund regen wir eine Überarbeitung der Leitlinien in Zusammenarbeit mit qualifizierten Veterinär-Genetikern und Fachleuten aus der tierärztlichen Praxis, z. B. den tierärztlichen Fachgesellschaften, deren Stellungnahmen Sie im Anhang finden, an. Wir sind uns sicher, dass sich auf diesem Weg am ehesten eine verhältnismäßige, wissenschaftlich basierte Umsetzung des § 10 TierSchHuV erreichen ließe, von der die Gesundheit unserer Hunde tatsächlich profitieren würde.

Wie bereits in der Vergangenheit angeboten, steht natürlich auch der VDH, der wohl die größte praktische Erfahrung mit der Umsetzung des Ausstellungsverbots des § 10 TierSchHuV in Deutschland hat, als Adressat der Regelung gerne als Ansprechpartner zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Peter Friedrich

Präsident

 

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